Südwest Presse

Bericht der Südwest Presse bei den Gesundheitstagen in Allmendingen über Familienaufstellung

In der Mitte des Raumes stehen sich drei Menschen gegenüber. Einer symbolisiert Angst, die anderen beiden Mutter und Tochter. Es ist still. Psychotherapeutin Georgine Steininger-Scherb sitzt auf einem Stuhl und beobachtet die Szene mit den anderen Zuschauern. Keiner spricht ein Wort. Auch dann nicht, als sich die Frau, die die Mutter symbolisiert, ganz langsam und rückwärts von der kleinen Gruppe entfernt.

Doch warum? Wie funktioniert das? Welche Mechanismen werden bei einer Familienaufstellung freigesetzt? Um auf diese und ähnliche Fragen eine Antwort zu bekommen, waren am Sonntagabend rund 200 Zuhörer ins Allmendinger Schulzentrum gekommen. Alle Plätze in der Aula waren belegt, manche mussten sich mit Stehplätzen begnügen. Und die Spannung stieg: Nach ihrem Vortrag „Deutung von Symptomen in der Familienaufstellung“ organisierte Steininger-Scherb mit einer Freiwilligen aus dem Publikum eine Familienaufstellung vor Ort.

Zunächst informierte die Psychotherapeutin aber über die Gründe, warum sie seit zehn Jahren Familienaufstellungen macht. „Die systematische Familienaufstellung ist eine Kurzzeittherapie, die zu schnellen Lösungen führen kann. Somit kann einer Person ein langer Leidensweg erspart bleiben“, sagte die 52-Jährige, die auch NLP-Master (Neuro Linguistische Programmierung) ist. Systematisch bedeute in diesem Fall zu einer Familie gehörig: „Jedes Mitglied besitzt eine ihm eigene Position in seiner Familie.“

Dadurch entsteht eine bestimmte Ordnung, die von Sippe zu Sippe unterschiedlich ist und mit der bei der Familienaufstellung nach Bert Hellinger gearbeitet wird. „Bestimmte Rollen und Muster können sich in der Geschichte einer Familie mehrmals wiederholen“, sagte Steininger-Scherb. Ahmt eine Tochter beispielsweise das Verhalten ihrer Mutter nach, spreche man von einer Verschiebung. „Nehmen wir an, eine Mutter wird von ihrem Mann vergewaltigt. Die Tochter beobachtet das Geschehen und kann nichts dagegen tun. Später kann das Erlebte dazu führen, dass die Tochter sich gegen ihren eigenen Mann zur Wehr setzt, weil sie in ihm ihren Vater wiedererkennt“, verdeutlichte die Psychotherapeutin aus Ulm. So, oder auf ähnliche Weise entstehen automatisierte, unterbewusste Verhaltensmuster, die durch die systematische Familienaufstellung aufgebrochen werden sollen.

Ein anderes Phänomen ist die so genannte Verstrickung. Stirbt ein Mann im Krieg, muss der älteste Sohn oft ungewollt die Vaterrolle in der Familie übernehmen. Diese Opferrolle kann sich über Generationen hinweg auf die Söhne in der Familie auswirken. „Somit wird das Leid, das diese Rolle mit sich bringt, immer wieder neu ausgelebt“, sagte Steininger-Scherb.

Und genau an diesem Punkt liegt der emotionale Kern der Familienaufstellung: „Im Bewusstsein verklären wir unsere Familiengeschichte“, sagte die 52-Jährige und fügte hinzu: „Im Unterbewussten verhalten sich viele Menschen jedoch loyal zu manchen Familienmitgliedern.“ Zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein entsteht somit ein Konflikt, der mittels Familienaufstellung ausgeglichen werden soll. Indem innere Bilder zu Tage gefördert werden, wird die Ursache des Leidens erkannt.

Helfen kann die Kurzzeittherapie bei Schicksalsschlägen wie Vertreibung, Tod, Krankheit oder Fehlgeburten. Festgefahrene Verhaltensmuster werden aufgebrochen und der Wiederholungsfilm des Leidens abgestellt. Menschen, die an Depressionen, Ängsten oder Resignation leiden, könne somit geholfen werden, sagte Steininger-Scherb.

Trotzdem sei die systematische Familienaufstellung kein Allheilmittel. „Es gibt Leute, die alles aufstellen, aber das ist falsch“, betonte sie immer wieder. Besteht Suizidgefahr, lebt ein Patient gerade eine Psychose aus oder befindet sich im Trauerjahr, sollte nichts unternommen werden. Außerdem sollte der Patient von sich aus eine Behandlung anstreben und ernsthaft an einer Lösung seines Problems interessiert sein. Um Scharlatanerie vorzubeugen ist Steininger-Scherb Mitglied in der deutschen Gesellschaft für Systemaufstellung in der internationalen Arbeitsgemeinschaft für Systemaufstellung. Dieser Berufsverbund setzt einen therapeutischen Beruf und eine zweijährige Weiterbildung in Familienaufstellung voraus. So werde garantiert, dass auch nach der Aufstellung für eine Nachsorge – falls notwendig – gesorgt ist.

Und so funktionierts: Der Patient sucht sich aus einer Gruppe von 12 bis 18 Leuten Personen aus, die ihn und seine Familienmitglieder während der Sitzung vertreten sollen. Diese Stellvertreter werden vom Patient selbst aufgestellt. „Die Stellvertreter müssen nichts wissen, sondern sollten einfach nur offen sein“, erklärte Steininger-Scherb.

Und das waren die Stellvertreter aus dem Zuhörerkreis am Sonntagabend in der Aula im Allmendinger Schulzentrum auch, das bewiesen ihre Stellungnahmen nach der Aufstellung in der Aula. „Mir ging es sehr gut in meiner Rolle, und das habe ich auch wirklich gefühlt“, sagte etwa eine Frau. Einer anderen Stellvertreterin waren während der Kurzzeittherapie sogar die Tränen gekommen.

Erscheinungsdatum: Dienstag 28.10.2008
Quelle: http://www.suedwest-aktiv.de/

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Gesundheitstage: Psychotherapeutin informiert über Familienaufstellung

Wie Familienmitglieder zueinander stehen, das kann man mit Hilfe einer Familienaufstellung herausfinden. Wie diese funktioniert, erklärte Psychotherapeutin Georgine Steininger-Scherb (Mitte) bei den Gesundheitstagen. Foto: Nina Reckmann Familienaufstellung ist eine lösungsorientierte Kurzzeittherapie. Welche Emotionen sie freisetzen kann, das hat Psychotherapeutin Georgine Steininger-Scherb bei den 26. Allmendinger Gesundheitstagen gezeigt. NINA RECKMANN